Die Stadt Plauen gilt als das Zentrum der Stickerei- und Spitzenindustrie. Hier entwickelte sich damals die Stickerei mit der Nähnadel, vor allem die Plattstich-Stickerei. Ihre Einführung wird dem Plauener Baumwollwarenhändler Carl Gottlob Krause (1773-1844) und seiner Frau Caroline Marie Wilhelmina, geb. Schmid, (1780-1845), zugeschrieben. Caroline Schmid war eine Tochter des Jenaer Universitätsprofessors Johann Wilhelm Schmid. 1802 hatte sie den Verleger Carl Gottlob Krause geheiratet. Da sie als ehemalige Kammerzofe am Weimarer Hof recht gut mit der französischen Weißstickerei vertraut war, schulte sie in der Zeit der Kontinentalsperre auf Anregung ihres Mannes Frauen von verarmten Webern in diesem Handwerk.
Somit konnten ab 1810 vom Ehepaar Krause erstmals größere Mengen kunstvoller Plattstich-Stickereien erfolgreich verlegt werden. In der Folge entstand daraus ein neuer Gewerbezweig.
Allmählich setzte nun ein Wandel der traditionellen Baumwollweberei ein. Die Weberei entwickelte sich in Verbindung mit der Stickerei weiter zu einem Weißwarengewerbe. Dies drückte sich auch semantisch aus. So verschwand die Bezeichnung „Baumwollwarenhändler“ zugunsten des „Weißwarenhändlers“.
Noch bis in die 1850er Jahre wurden Weberei und Stickerei als zusammengehörig wahrgenommen. Doch der Anteil der Weberei ging zurück und die Stickerei gewann an Bedeutung. Ausdruck dessen war, dass um 1830 in Plauen neue, stickereiorientierte Weißwarengeschäfte entstanden, u.a. G. F. Schmidt (1826), G. A. Jahn (1835), F. A. Mammen (1838), die sich zu erfolgreichen Stickereifirmen entwickelten. Sie mobilisierten ein erhebliches, hausindustrielles Arbeitskräftepotential für die Ausführung von Stickarbeiten. Allein die Weißwarenhandlung G.F. Schmidt soll um 1838 an die 2.000 Stickerinnen beschäftigt haben (1). Während die Lohnweber der Firma Schmidt meist aus der Stadt Plauen kamen, wurden die Stickereien von Landfrauen aus den umliegenden Dörfern ausgeführt. So beschreibt es der Sohn des Inhaber, Rudolph Schmidt, in seinen Jugenderinnerungen (2).
Doch auch in Plauen selbst waren in dieser Zeit bereits etwa 5% der Einwohner mit Stickerei bzw. Ausnäherei beschäftigt. Der überwiegende Teil arbeitete als Heimarbeiter im Verlagssystem. Der Kenner der sächsischen Gewerbelandschaft F. G. Wieck schätzte die Gesamtzahl der Beschäftigten in der Stickereibranche um 1840 auf ca. 20.000-30.000, die für ca. 350 Verleger- oder Fabrikbetriebe arbeiteten (3). Während sich im sächsischen Vogtland die Stickerei etablierte, war im Erzgebirge vor allem die Klöppelei verbreitet. Das Klöppeln war damals noch ein bedeutender Wirtschaftsfaktor, jedoch bereits im Rückgang begriffen.
Mit dem Beitritt Sachsens zum Deutschen Zollverein 1834 vergrößerte sich der Binnenmarkt für sächsische Stickereierzeugnisse erheblich. Damit expandierte auch das vogtländische Weißwarengewerbe weiter. Internationale Aufmerksamkeit wurde der sächsischen Stickerei durch eine Auszeichnung auf der 1. Weltausstellung 1851 in London zuteil. In den Folgejahren stiegen die Beschäftigungszahlen im Stickereigewerbe weiter, während Weberei und Klöppelei nun deutlich rückläufig waren. Bereits 1855 waren in Plauen 11,02%, in Oelsnitz 13,09% und in Adorf 7,5% und in Schöneck 30,5% der Einwohner im Stickereigewerbe beschäftigt (4). In Schöneck und Adorf übertraf die Stickerei die damals noch verbreitete Weberei.
Durch die weitgehend im Verlagssystem ausgeführte Lohnarbeit war der Anteil der „Selbständigen“ im Stickereigewerbe überdurchschnittlich hoch. Von den Statistiken nicht erfasst sind auch die zusätzlich erbrachten Arbeitsleistungen durch Familienangehörige, resp. Kinderarbeit. Damit entsprach um 1850 die Organisation des Stickereigewerbes noch ganz der protoindustriellen Produktionsweise. Auf der untersten Stufe standen die „Näh- und Stickmädchen“, die als Heimarbeiterinnen von Faktoren oder Kleinverlegern mit Ware und Aufträgen versorgt wurden. Sie fungierten als sogenannte „Vorkäufer“, die die Ware an Verleger bzw. Fabrikanten weiterleiteten. Gerade für die bäuerlichen Subsistenzwirtschaften des Vogtlandes war die Stickerei oft die einzige Einnahmequelle.
Literatur
(1) L. Bein, Die Industrie des sächsischen Vogtlandes: wirthschaftsgeschichtliche Studie, Leipzig 1884, S. 271.
(2) R. Schmidt, Plauensche Jugenderinnerungen, Plauen 1913, S. 14-18; vgl. F. Mohr, Plauen in der guten alten Zeit, Plauen 1913, S. 21f.
(3) F.G. Wieck, Industrielle Zustände Sachsens, Chemnitz 1840, S. 337.
(4) Bein, Industrie (wie Anm. 1), S. 288.